Gründliche Vorüberlegungen bei der Bedarfsermittlung und der Konzeption der Bedarfsdeckung, noch vor dem eigentlichen Vergabeprozess, sind ein wichtiger Schritt zur Implementierung von C2C in der Beschaffung (Abbildung 5). An dieser Stelle geht es insbesondere darum die richtigen Fragen zu stellen. Was kann das C2C-Konzept für den konkreten Beschaffungsbedarf bedeuten? Welche sozialen und ökologischen Aspekte – von der Ressourcengewinnung über die Produktion und den Konsum bis hin zur Entsorgung des Produkts – können beim konkreten Beschaffungsbedarf besonders kritisch für Mensch und Natur sein?
Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Bedarfs- und Beschaffungsstelle kann in diesem Schritt der Bedarfsanalyse gemeinsam ermittelt werden, ob eine Anschaffung überhaupt notwendig ist und welche Art der Beschaffung sinnvoll sein könnte. Möglicherweise lässt sich der Bedarf durch Auf- oder Umrüstung bereits vorhandener Produkte decken. Häufig wird lediglich der Service, den ein Produkt bietet, benötigt, jedoch nicht unbedingt der Eigentumserwerb des Produkts. Hier bietet sich z. B. die Recherche nach alternativen Geschäftsmodellen an, wie etwa Product-as-a-Service-Konzepte (PaaS). Bei PaaS wird die Dienstleistung eines Produktes anstatt des Eigentums erworben, z. B. in Form eines Abonnements. Ein Drucker oder eine Waschmaschine werden in diesem Modell lediglich genutzt und die Kommune zahlt pro gedrucktem Blatt Papier, pro verbrauchter Tintenkartusche oder pro Waschgang. Eigentümer des Geräts und seiner Ressourcen bleibt jedoch das herstellende oder anbietende Unternehmen. Solche zirkulären Geschäftsmodelle können Materialkreisläufe schließen, da das Produkt und seine verbauten Rohstoffe am Ende der Nutzungsdauer wieder an die produzierenden oder anbietenden Unternehmen zurückgehen und diese damit weiter kalkulieren können. Als Eigentümer der Rohstoffe haben sie einen Anreiz, ihre Produkte qualitativ hochwertig und modular zu gestalten, um defekte Komponenten leicht austauschen zu können und die verbauten Rohstoffe wieder sortenrein voneinander trennen und wiederverwenden zu können. Für Konsument*innen haben solche Modelle den Vorteil, dass teure Wartungs- oder Entsorgungskosten meist nicht vorkommen bzw. im Service inkludiert sind und das Produkt je nach Bedarf ohne großen Aufwand austauschbar und somit auf den jeweiligen Bedarf anpassbar ist.
Design spielt bei der Auswahl von Produkten eine große Rolle und kann sich in der Praxis sogar auf die Nutzungsdauer auswirken. Die Entscheidung für ein einheitliches Design bei Büromöbeln trägt beispielsweise zu einer größeren Bereitschaft innerhalb des Personals bei, die Möbel bei Bedarf untereinander auszutauschen, statt neu zu beschaffen. Dieser Aspekt sollte ebenfalls in die Vorüberlegungen einfließen.
Besonders bei größeren Beschaffungsvolumina (z. B. bei mehrjährigen Rahmenverträgen) sollte ausreichend Zeit in die Vorbereitung und Ausarbeitung der gewünschten Kriterien investiert werden, da bei solchen Aufträgen ein großes Einflusspotenzial auf bietende Unternehmen und den Markt besteht. Durch eine detaillierte Marktrecherche können neben den Marktführern auch kleine und mittelständische Unternehmen mit innovativen, sozial-ökologischen und zirkulären Alternativangeboten gefunden werden.
Diese Vorüberlegungen noch vor dem eigentlichen Vergabeprozess sind ein bedeutender Hebel zur Implementierung von C2C-Aspekten. Denn hier wird festgelegt was Cradle to Cradle im Kontext des Beschaffungsbedarfs bedeutet und welche Zielkriterien sich daraus ergeben müssen. Wie im Kapitel zu strukturellen Rahmenbedingungen aufgeführt, ist ein Grundverständnis des C2C-Konzepts oder Unterstützungsmöglichkeiten z. B. über eine interne oder externe Kompetenzstelle für sozial-ökologische Beschaffung hier sehr hilfreich.
Anmerkung: Der folgende Inhalt zu Vorüberlegungen zur Identifikation von gewünschten Produkteigenschaften orientiert sich einerseits an dem C2C-Verständnis von C2C NGO sowie den Zertifizierungskriterien des C2C-certified-Standards.
Zu Beginn sollte das Nutzungsszenario des Produktbedarfs betrachtet werden. Wird das Produkt verbraucht, sodass Bestandteile z. B. durch Abrieb in die Umwelt gelangen könnten? Dann sollten das Produkt oder die sich verbrauchenden Bestandteile für den biologischen Kreislauf designt und biologisch abbaubar sein. Wird das Produkt für das Nutzungsszenario Hautkontakt oder Innenräume benötigt, sollte die Produktzusammensetzung entsprechend unschädlich für Haut oder Atemluft sein. Gebrauchsprodukte, deren Bestandteile keinen Kontakt mit Mensch und Umwelt haben und sich nicht verbrauchen, können für einen technischen Kreislauf designt sein. All ihre Bestandteile sollten sortenrein trennbar und ohne Qualitätsverlust recycelbar und/oder wiederverwendbar sein.
Produktbeispiel Reinigungsmittel:
Reinigungsmittel gelangen durch das Abwasser in die Umwelt. Sie können zudem bei der Nutzung eingeatmet werden oder in Hautkontakt gelangen. Dementsprechend sollte die Zusammensetzung für die Biosphäre konzipiert, sprich vollständig biologisch abbaubar sein. Die Kunststoffverpackung des Reinigungsmittels kann wiederum für den technischen Kreislauf designt sein und sollte ohne Qualitätsverlust recycelbar oder direkt wiederverwendbar sein.
Im Anschluss sollten die für Mensch und Natur sensiblen Aspekte entlang des gesamten Produktlebenszyklus recherchiert werden. Welche sozialen oder ökologischen Risiken birgt die Produktgruppe? Jede Produktgruppe hat möglicherweise andere kritische Aspekte, die aus C2C-Perspektive berücksichtigt werden sollten.
Auf Grundlage dieser sensiblen Aspekte können wiederum wünschenswerte C2C-Aspekte und Produkteigenschaften definiert werden, die in der anschließenden Marktrecherche geprüft und spezifiziert werden.
Tabelle 1 ist eine beispielhafte Denkhilfe zu den C2C-Kategorien mit Beispielen für daraus folgende Ziele im Beschaffungskontext.
Die Expertise von Forschungsinstituten oder NGOs kann bei der Identifizierung potenzieller Risiken helfen16. Ob ein Produkt rechtlich vom jeweiligen Bundesland als sensibel eingestuft wird und welche Praxisbeispiele für sozial-ökologische Beschaffung bereits existieren, zeigt zum Beispiel das Vergabetool von Kompass Nachhaltigkeit.
Anmerkung: Hier sind größtenteils Beispiele nachhaltiger oder fairer Beschaffung gesammelt, die oft lediglich Teilaspekte des C2C-Ansatzes umfassen (Kreislauffähigkeit oder Materialgesundheit spielen in den Praxisbeispielen beispielsweise oft noch keine bedeutende Rolle).
Für eine langfristige Implementierung von C2C-Beschaffung sollte außerdem auf die Akzeptanz der Produkte bei den zukünftigen Nutzer*innen geachtet werden. Es bietet sich an bereits in den Vorüberlegungen potenzielle Nutzer*innen sowie deren Ansprüche zu identifizieren oder ggf. abzufragen, um diese ebenfalls in der Marktrecherche berücksichtigen zu können.
Das C2C-Konzept zielt auf Lösungen mit positivem Mehrwert ab. Im Kontext der Beschaffung bedeutet das, dass Vergabekriterien nicht nur die Verringerung kritischer Aspekte zum Ziel haben sollten, sondern möglichst einen positiven Mehrwert für Mensch und Umwelt fordern sollten. So kann der Boden für Krankenhäuser auch antibakteriell sein und der Teppichboden in Kindergärten die Luft reinigen. Diese Ideen können im Kontext der Marktrecherche geprüft und spezifiziert werden.
Die folgende Checkliste ist eine grobe Hilfestellung, um kritische Aspekte sowie Produkteigenschaften nach C2C herauszuarbeiten. Die Antworten auf diese Fragen dienen als Grundlage für die anschließende Marktrecherche.
Notwendigkeit der Beschaffung:
Service statt Eigentum:
Nutzungsszenario:
Zielgruppe:
Eigenschaften aufgrund kritischer Aspekte der Produktgruppe:
Anmerkung: Es sollten keine Chemikalien der “Cradle to Cradle Restricted Substances List” 17 verwendet werden.
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